Die digitale Revolution im Gesundheitswesen wird unser Leben fundamental verändern
These von Stephan Rietiker, CEO einer börsenkotierten Unternehmung im Bereich Digital Health (lifewatch.com)
Fliesst diese digitale Revolution bereits in die Ausbildung ein?
Immer wieder werde ich von Journalisten und Unternehmern gefragt, ob sich die digitale Revolution bereits in der aktuellen Ausbildung von jungen Ärzten an den Universitäten widerspiegelt. Ich fürchte leider, dass die Universitäten und medizinischen Ausbildungsstätten damit noch völlig überfordert sind, auch in den USA. Sie sehen am Beispiel der internistischen Kardiologie, welchen Einfluss Technologie hat. Herzchirurgen werden immer weniger ausgebildet.
Sie sind selbst Arzt: Nagt eine solche Entwicklung nicht am Selbstwertgefühlt eines ganzen Berufstandes?
Für einen Arzt „alter Schule“, zu der ich mich zähle, ist diese Entwicklung eine Zäsur. Ich wurde in den Achtzigerjahren noch für den „klinischen Blick“ geschult, also darauf zu achten, wie ein Patient das Sprechzimmer betritt; wie man das ärztliche Gespräch führt, eine Anamnese vornimmt. Und ich wurde in einer Generation Arzt, in der Spezialisierung eher verpönt war. Jüngere Ärzte werden sich umgewöhnen müssen, für die künftigen wird es normal sein, dass ein Patient mit einer Basis-Diagnose zur Konsultation kommt.
Ist es denkbar, dass wir in Zukunft die relevanten Bio-Werte laufend und in Echtzeit vollumfänglich selbst überwachen können?
Das wird kommen, ja – ob wir das wollen oder nicht. Die eigentliche Herausforderung liegt nicht in der Technologie, sondern im Umgang mit derselben. Und in der Tatsache, dass man auch zuviel wissen kann. Wenn Sie heute nicht wissen, dass Sie in fünf Jahren eventuell schwer erkranken, geht es Ihnen heute mutmasslich besser als umgekehrt. Wenn Krankenkassen wiederum um Ihre Risikodisposition wissen, werden sie Ihnen vielleicht die Deckung reduzieren oder bei der Haftung Vorbehalte formulieren. Das sind die grossen Herausforderungen, die wir meistern müssen.
Was heisst das konkret?
Wir sehen im Referenzmarkt USA, dass dort auf der Basis von Einzelfällen Krankenkassen hinsichtlich der Formulierung von Vorbehalten in die Schranken verwiesen werden. Auf längere Sicht wird sich das Geschäftsmodell der Versicherungen fundamental ändern müssen.
Und was heisst es für uns als Menschen? Ewiges Leben?
Nein, der Körper erreicht im statistischen Mittel irgendwann eine Grenze. Daran wird sich nichts ändern. Was sich aber ändern könnte, und das ist relevant, dass wir möglichst lange eine möglichst gute Lebensqualität haben. Es geht also auch darum, die Zeit zu verkürzen, wo wir nicht mehr gesund sind. Das wird mit Sicherheit mit digitalen Technologien und einer individualisierten Diagnostik und Therapie gelingen – was auch einen positiven Effekt auf die Kosten haben wird. Denken Sie daran, dass rund ein Drittel aller verschriebenen Medikamente im Abfall landen.